Interview mit Anahita Thoms
Frau Thoms, Sie leiten die Außenwirtschaftspraxis von
Baker McKenzie Deutschland. Wie muss man sich Ihre
Arbeit vorstellen?
Extrem vielseitig und dynamisch: Sei es, dass ich ein
Unternehmen weltweit bei internen und externen
Untersuchungen berate, für einen Mandanten ein
Compliance-Programm aufsetze oder die Mitarbeiter
des Mandanten in Sachen Compliance schule. Daneben
schreibe ich zum Beispiel Rechtsgutachten und führe
Conference Calls sowie Ad-hoc-Telefonate mit Mandanten.
Oft bin ich auch bei Mandanten im Ausland vor
Ort, gerade wieder etwa auf einer Roadshow in Japan.
Der Begriff Compliance ist in aller Munde. Was bedeutet
das Thema für Sie?
Ich habe schon sehr früh ein Interesse an Compliance-
Fragen entwickelt. Ich sehe darin ein Feld, in dem wir
als Anwälte Unternehmen helfen können, ökonomisch
sinnvoll zu agieren und gleichzeitig im Einklang mit
dem Gesetz zu sein. Verstoßen Unternehmen gegen
das Gesetz, drohen ihnen mitunter hohe Geldbußen,
die sogar ihre Existenz bedrohen können. Das Thema
ist hochpolitisch und in den letzten Jahren zu einem
„Dauerbrenner“ geworden. In unserer Beratungspraxis
bewegen wir uns in Sachen Compliance daher nicht
nur in einem rechtlichen, sondern auch in einem
politischen Umfeld. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass
die einschlägige Wirtschaftspresse über Compliance
berichtet. Diese Entwicklungen zu verfolgen, Firmen
bei einer werteorientierten Unternehmensführung zu
unterstützen und ihnen Wege aufzuzeigen, sich regelkonform
zu verhalten, finde ich extrem spannend.
Wo sehen Sie die Zukunft von Compliance?
Auch in Zukunft wird Compliance für Unternehmen ein
ganz zentrales Thema sein – gerade auch im Hinblick
auf die Digitalisierung. Cyberangriffe und Datendiebstahl
sind nur zwei Beispiele, die zeigen, dass im Zeit -
alter „Industrie 4.0“ Unternehmen gefordert sind, ihre
Sicherheitssysteme und Prozesse zu überdenken. Die
wachsen de Digitalisierung wird auch dazu führen, dass
herkömmliche Compliance-Systeme nicht mehr ausreichen
werden, unter anderem wegen der rasant wachsenden
Datenmengen.
Was sind die Highlights in Ihrer Beratungspraxis?
Das sind die Fälle, in denen das „Kind bereits in den
Brunnen gefallen ist“, also wenn es Anhalts punkte gibt,
dass es einen Rechts verstoß gibt. Dann findet eine
Außenprüfung statt. Ich komme als Anwältin während
interner Sonderermittlungen ins Spiel, sog. Internal
Investigations, die dazu dienen, die Vorwürfe gegen
das Unternehmen aufzuklären. Diese Internal
Investigations laufen unabhängig von staatsanwaltschaftlichen
Ermittlungen. Ich arbeite mich detailliert in
die Prozesse des Unternehmens ein. Wer trifft im Unternehmen
die Entscheidungen? Wer setzt sie um? Es ist
wichtig, hierfür ein Gespür zu haben und die einzelnen
Prozessschritte zu verstehen, um dem Mandanten die
richtigen Empfehlungen geben zu können. Im Anschluss
geht es darum, ein Compliance-Programm aufzusetzen
oder das bestehende Programm zu überarbeiten.
Welches sind die Erfolgsfaktoren, damit eine Internal
Investigation ein Erfolg wird?
Vom Technischen her ist entscheidend, dass die interne
Ermittlung strukturiert verläuft und die Dokumentation
keine Lücken hat. Eine Internal Investigation erfordert
aber neben den reinen formalen Abläufen viel mehr:
Es ist eine sehr belastende Zeit für das Unternehmen.
Meine Aufgabe als rechtliche Beraterin sehe ich auch
darin, das Vertrauen der Unternehmensleitung und der
Mitarbeiter zu gewinnen, Ruhe in die Situation zu
bringen und den Druck herauszunehmen, der auf den
Unternehmenslenkern lastet. Entscheidend ist eine
lösungsorientierte Herangehensweise und das Signal,
dass beide Seiten - Unternehmen und Anwalt – an
einem Strang ziehen müssen, damit die Internal
Investigation erfolgreich verläuft.
Wo sehen Sie derzeit Ihre größte Herausforderung?
Ganz klar darin, unsere Außenwirtschaftsrechtspraxis
weiter auszubauen. Unser Team wächst und ich habe
eine Vision, wo die Reise hingehen soll und nun geht
es darum, diese Vision umzusetzen, in hoher Qualität.
Das erfordert Zeit – und ist gleichzeitig sehr reizvoll.
Dass ich abwechselnd in unseren Büros in Düsseldorf
und Brüssel arbeite, bringt eine zusätzliche Dynamik
mit in meine Arbeit.
Wie schaffen Sie den Spagat, in zwei Büros – Düsseldorf
und Brüssel – zu arbeiten?
Das Zauberwort heißt Organisation (lacht). Ich plane
tatsächlich sehr vorausschauend und lege mir alle
Termine, die in der jeweiligen Region oder im Büro mit
Mandanten und dem Team anstehen, auf einen Tag. Es
gibt für mich keine festen Tage, an denen ich in einem
der beiden Büros sein muss. Meine Arbeit ist daher
sehr flexibel und diese Flexibilität schätze ich sehr.
Umso mehr genieße ich die Wochenenden und meine
Urlaube, die für mich “Family Time“ sind und die ich mit
meinem Mann und meinen beiden Kindern verbringe.
Sie sind Mutter von zwei kleinen Kindern. Wie bringen
Sie Ihre Arbeit in zwei Metropolen und die Familie unter
einen Hut?
Mit einem extrem guten Netzwerk: Ich habe das große
Glück, dass meine Eltern und meine Schwiegereltern,
die in Düsseldorf leben, auf die Kinder sehr gerne und
liebevoll aufpassen. Zusätzlich haben wir eine Nanny,
die bei uns wohnt.
Sie arbeiten auf internationalem Parkett und waren
vor Ihrem Einstieg bei Baker bereits vier Jahre in einer
Großkanzlei in New York tätig. Ihre wichtigste Erfahrung
während dieser Zeit?
Die Anwaltswelt in New York ist noch schnelllebiger
als in Deutschland und Europa. Für US-Mandanten
sind teilweise andere Dinge wichtig, als wir sie aus
unserem Mandatsgeschäft in Deutschland kennen.
Ein Beispiel: Schriftsätze können nicht kurz genug
sein. Was bei uns zum Teil mehrere Seiten einnimmt,
verpacken New Yorker Anwälte in wenigen Bulletpoints.
Man lernt sehr schnell die „Spielregeln“ dieser
Welt und die Art, mit einem anderen Blickwinkel an
Dinge heranzugehen. Das hat mich sehr bereichert –
auch für meine Arbeit in Europa.
Sie engagieren sich sozial, sind Gründungsmitglied der
Initiative “United Against Modern Slavery“ und vertreten
regelmäßig Opfer von Menschenrechtsverletzungen.
Was war der Impuls für Ihr Engagement?
Für mich ist Pro Bono Arbeit enorm wichtig, und ich
engagiere mich seit mehreren Jahren im Rahmen der
Initiative “United Against Modern Slavery“. Als Anwältin
ist es mir möglich, Menschen, die sozial benachteiligt
und auf Hilfe angewiesen sind, zu unterstützen. Mehr als
40 Millionen Menschen sind weltweit Opfer moderner
Sklaverei. Politische Gefangenschaft, Menschenhandel,
Kinderarbeit, Rekrutierung von Kindersoldaten sind
Beispiele moderner Sklaverei. Berührungsängste verhindern
mitunter, dass man sich mit diesem Thema
auseinandersetzt. Doch gerade auf diesem Gebiet ist
Unterstützung dringend nötig, gerade von uns Anwälten,
die hier viel bewirken können. Die Menschen, die
Opfer moderner Sklaverei geworden sind, rechtlich zu
betreuen, ist eine Facette meiner Pro Bono Arbeit. Die
andere ist, dass ich Unternehmen berate, wie sie ihre
Supply Chain so gestalten können, dass sie sozial nachhaltig
ist – ohne Sklaven, sondern mit fairen Arbeits bedingungen
und fairen Löhnen. Wenn Unternehmen
Standards schaffen, tragen sie ihren Teil dazu bei,
moderne Sklaverei zu reduzieren.
Wenn Sie keine Anwältin geworden wären, welchen Weg
hätten Sie dann eingeschlagen?
Ich hatte schon immer ein Faible für außenwirtschaftliche
und außenpolitische Themen. Politisches Engagement
oder Diplomatin – diese Wege hätte ich mir auch
gut vorstellen können.
Welche Tipps haben Sie für die “Next Generation“
von Juristen?
Lest mehr als eine Zeitung und haltet Augen und Ohren
offen. Ich selbst informiere mich seit meiner Studienzeit
täglich über nationale und auch internationale Zeitungen
wie die New York Times. So erhaltet Ihr einen hervorragenden
Überblick über das Wirtschaftsgeschehen und
die politischen Zusammenhänge. Das hilft Euch, rechtliche
Themen in einen übergreifenden Kontext einzuordnen.
Mein zweiter Tipp: Geht unbedingt ins Ausland
und öffnet Euch für andere Kulturen und Rechtskulturen.
Ihr gewinnt eine neue Perspektive auf Dinge, die Ihr zu
Hause nie bekommen würdet. Und: Zeigt Leidenschaft
für das, was Ihr tut, und arbeitet ausdauernd und präzise.
Manche Dinge erscheinen auf den ersten Blick
vielleicht nicht so reizvoll, um sie weiterzuverfolgen.
Doch sie können viel „cooler“ sein, als Ihr anfangs angenommen
habt. Bleibt also dran, eure Hartnäckigkeit
wird sich auszahlen.
Frau Thoms, vielen Dank für dieses Gespräch.
Ein typischer Arbeitstag
Morgens
Nachdem mein Wecker klingelt, schlafen meine beiden
Kinder für gewöhnlich noch. Ich koche mir eine Tasse Tee
und checke meine Mails. Wenn meine Kinder dem Wecker
zuvorkommen, verbringen wir die Morgenstunde gemeinsam
– ein hektischer, aber schöner gemeinsamer Start in den Tag.
Ich mache mich auf den Weg ins Büro.
Den Großteil des Vormittags beschäftige ich mich
damit, E-Mails zu beantworten und mit meinem
Team die an stehenden Aufgaben
durchzusprechen. Dazwischen führe
ich einige Calls mit Mandanten.
Mittags
Ich treffe mich mit Mandanten oder
Kollegen zum Lunch in einem der nahegelegenen
Restaurants. Wenn es schnell
gehen muss, nehme ich mein Lunch
“New York Style“ ein, also an meinem
Schreibtisch vor dem Computer.
Nachmittags
Nach dem Mittagessen habe ich erneut ein volles
Programm: Ich führe Telcos
mit Mandanten, z.B. zu aktuellen
Compliance- Fragen, treffe Mandanten,
finalisiere Memos und Compliance-
Programme. Wenn es beim Mandanten
„brennt“ und er wegen eines Rechtsverstoßes
beschuldigt wird, muss alles ganz schnell gehen. Ich
gehe vor Ort und bespreche die nächsten Schritte mit
ihm, denn nun steht eine Internal Investigation an.
Abends
Idealerweise bin ich zum Abendessen
zu Hause und esse mit meiner Familie zu
Abend und lese den Kindern vor.
Wenn meine Kinder im Bett sind, fahre
ich noch einmal meinen PC hoch und
beantworte Mails an Mandanten und
Kollegen.
Jeder Tag ist ein bisschen anders. Ein typischer Arbeitstag kann so, wie oben skizziert, aussehen.